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Solidarisch und fruchtbar
Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt – oder vor Ort angebaut wird. Für die Befürworter der solidarischen Landwirtschaft kein Problem. Dafür wissen sie, woher ihr Salat und Gemüse kommen.
Gemüse und Salate in allen Variationen sind ganzjährig verfügbar – Gewächshäuser und südliche Anbaugebiete machen es möglich. Allerdings mit langen Transportwegen auf Kosten der Umwelt.
Ganz anders die solidarische Landwirtschaft: Kurze Wege vom Erzeuger zum Verbraucher. Dafür gibt es aber auch nur das, was jahreszeitlich angebaut oder länger gelagert werden kann.
Die mäusesicheren Lagerbehälter haben sich mit den Erträgen des Ackers gefüllt: Unter anderem Karotten, Kartoffeln, Weiß- und Rotkohl, Sellerie, Zwiebeln, Lauch und Rote Bete befinden sich in den großen Kisten mit Drahtnetz im Lagerkeller von Holger Pabst.
Mitglieder müssen Anteile erwerben
Landwirt Pabst baut auf seinem Hof in Friedberg-Dorheim Gemüse an, das die 75 Mitglieder der örtlichen Solidarischen Landwirtschaft versorgt.
Was sich hinter diesem Begriff verbirgt und wie die SoLaWi funktioniert, erläutert Dieter Fitsch, einer der Sprecher des Friedberger Vereins. Mitglieder können einen oder mehrere Anteile für einen bestimmten Betrag erwerben.
Jeder Anteil steht für eine bestimmte Menge an Gemüse. Der Jahresbeitrag wird vor Beginn der Pflanzsaison festgelegt. Er kann einmalig oder auch in Monatsraten bezahlt werden.
Sicherer Finanzierungsspielraum
Mit dem dadurch eingenommenen Geld gewinnt der Landwirt einen Finanzierungsspielraum und damit Planungssicherheit. Davon wird das Saatgut angeschafft, aber auch Material, um den Acker einzuzäunen und vor Tierfraß zu schützen.
In trockenen Jahren wie 2018 ist auch eine Bewässerung notwendig. »In diesem Jahr haben wir gut 133 Kubikmeter Wasser für 0,7 Quadratmeter Ackerland verbraucht. Im vergangenen Jahr hatten wir fast nichts gebraucht«, sagt Pabst.
Er war vor Jahren durch eine Fachzeitschrift auf die solidarische Landwirtschaft aufmerksam geworden und erklärte sich sofort zum Mitmachen bereit, als sich vor knapp drei Jahren die Gruppe um Dieter Fitsch gründete.
Angebot auf der Internet-Seite
Pabst (46) betreibt in der vierten Generation einen ökologisch wirtschaftenden Betrieb mit Ackerbau, Pensionspferdehaltung und Gemüsefeldern.
Mittwochs steht fest (und ist auf der Internet-Seite des Hofes nachlesbar), was geerntet und freitags in einer separaten Abholstation in der Friedberger Innenstadt oder direkt auf dem Hof abgeholt werden kann. Dort ist es Vertrauenssache, denn jeder wiegt den ihm zustehenden Anteil am Gemüse selbst ab.
Zu den Nutzern zählt zum Beispiel die Familie von Tobias und Jolanthe Lintl mit ihren vier Söhnen Findus, Emil, Ole und Benno in Friedberg. »Die Kinder sollen wissen, wo ihr Essen herkommt«, begründet der 36-jährige Zimmerer die Entscheidung für die SoLaWi.
Kunde: Unterschied scheckt man
Der größte Unterschied sei, dass man verbrauche, was man bekomme, und sich nicht wie im Supermarkt aussuchen könne, was man will. Das sei natürlich mit Einschränkungen verbunden, und deshalb werde auch ab und zu mal was zugekauft.
Letztes Jahr habe es zum Beispiel noch keine Paprika im Angebot gegeben. Aber: »Den Unterschied schmeckt man«, sagt Jolanthe Lintl. Die SoLaWi-Tomaten beispielsweise seien intensiver im Geschmack.
„Die Menschen wollen sich neu auf das besinnen, was aus dem Boden kommt. Und sie wollen Verantwortung übernehmen“
Dieter Fitsch
Fitsch sieht die SoLaWi Friedberg-Dorheim jedenfalls auf einem guten Weg. Das zeige die Zunahme an Mitgliedern in den gut drei Jahren ihres Bestehens. 2016 habe es 25 Anteilseigner gegeben, 2017 seien es schon 50 gewesen, aktuell 75.
Und auch das Angebot werde größer. Dieses Jahr waren erstmals auch Tomaten dabei. »Die Menschen wollen sich neu auf das besinnen, was aus dem Boden kommt. Und sie wollen Verantwortung übernehmen«, sieht Fitsch gute Chancen, die solidarische Landwirtschaft in der Region noch stärker zu etablieren.
Mit dem Fahrrad zur Abholstation
Die hat seit ein paar Jahren auch in Marburg ein Standbein – mit Ausstrahlungskraft bis in den Gießener Bereich. Maleika Balke wurde vor drei Jahren auf die SoLaWi aufmerksam.
Eine Mitbewohnerin der 26-jährigen Studentin hatte durch Freunde von dieser neuen Versorgungsmöglichkeit erfahren. Die vierköpfige WG beschloss, mitzumachen und einen Anteil zu erwerben.
Einmal pro Woche geht es per Fahrrad zu einem ehemaligen Bunker in Gießen, wo die Verteilung der Lebensmittel stattfindet. Dem Anteil entsprechend werden Salat und Gemüse abgewogen.
„Man wird kreativ, und man lernt auch, zu verzichten. Zum Beispiel auf Tomaten im Winter“
Maleika Balke
Auch hier sprechen zu Beginn der Saison Erzeuger und Konsumenten den Richtwert pro Anteil ab. »Ein Anteil für vier Personen ist allerdings schon sehr knapp«, sagt Balke. Aber: »Man wird kreativ, und man lernt auch, zu verzichten. Zum Beispiel auf Tomaten im Winter.«
Der Unterschied zum Einkauf im Supermarkt sei der stärkere Bezug zum Landwirt und zum Essen: »Die solidarische Landwirtschaft hat mir den Umgang mit Lebensmitteln deutlich gemacht und mehr Respekt davor erzeugt«, sagt Balke.
Man bekomme hautnah mit, wie Essen hergestellt wird. Es werde nichts weggeworfen, nur weil es nicht die »richtige« Größe oder Form hat.
Neue Gemüsearten kennengelernt
Umweltfreundlicher sei der Verzicht auf Verpackungen. »Und ich habe neue Gemüsearten kennengelernt wie Stangen- und Knollensellerie oder Rüben.« Schmeckt man den Unterschied zum konventionellen Handel?
»Schwer zu beantworten«, sagt die 26-Jährige, die beim mäßigen Fleischkonsum auch auf »bio und regional« achte. Sie habe schon lange kein anderes Gemüse mehr verwendet als das der solidarischen Landwirtschaft. Bei Karotten merke man allerdings einen »Megaunterschied. Die sind süßer«.
Info
Solidarische Landwirtschaft
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Solidarische Landwirtschaft
Als solidarische Landwirtschaft (SoLaWi) bezeichnet man eine besondere Form der Vertragslandwirtschaft: Eine Gruppe von Verbrauchern kooperiert dabei auf lokaler Ebene mit einem oder mehreren Partnerlandwirten. Dabei geben die Verbraucher eine Abnahmegarantie (für ein halbes oder ein Jahr) für die Produktion des Landwirtes und erhalten im Gegenzug Einblick und Einfluss auf die Produktion. Das Konzept entstand in den 1960er Jahren in Japan, wo heute etwa ein Viertel der Haushalte an einer Teikei (deutsch »Partnerschaft«) beteiligt sind. In Deutschland gilt der Demeter-Betrieb Buschberghof in Fuhlenhagen als Keimzelle für die mittlerweile über 100 Gemeinschaften. In der Regel zahlt jeder Verbraucher (Mitglied) einen festen monatlichen Betrag. In einigen Fällen geben die Verbraucher dem Landwirt auch ein zinsgünstiges Darlehen, um zum Beispiel den Aufbau des Hofes oder die Umstellung auf ökologische Produktion zu ermöglichen. Diese Partnerschaft unterstützt eine lokale Produktion und eine lokale Ernährung. Viele solidarische Landwirtschaften folgen ökologischen Anbaumethoden. Der Verein SoLaWi Marburg wurde 2013 gegründet und hat mittlerweile rund 200 Mitglieder. Anbaupartner sind ein Bioland-Gemüsebaubetrieb in Kirchvers, ein Demeter-Hof in Stedebach und eine Bioland-Imkerei Morgentau in Lohra. Der Kundenkreis des Marburger Vereins reicht bis in den Gießener Raum. 25 Anteilseigner und ein Landwirt aus Friedberg und Umgebung gründeten 2015/16 die SoLaWi Friedberg-Dorheim.